Grüne Aussichten: Trends im Spiegel der Gesellschaft

27. Juni 2022

Antje Verstl und Oda Pistorius für die Deutsche Baumschule 03/2022

Der Pflanzenabsatz in den letzten zwei Jahren ist gut gelaufen- Gehölze und Stauden sind knapp, vieles lief wie von selbst. Doch bleibt das so? Für den Fachhandel gilt es, den Wandel aktiv mitzugestalten. Welche Gartenthemen rücken in den Focus, wo zeichnen sich Trends ab? Das lässt sich nur mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Strömungen fassen. Vor welchen Herausforderungen damit der Grüne Fachhandel steht, skizziert Antje Verstl im folgenden Überblick.

Der Garten ist seit jeher der Spiegel der Gesellschaft. Ein Blick in die Geschichte, auf verschiedene Zeitalter, zeigt uns, wie auf Entwicklungen der Gesellschaft ein veränderter Bezug zur Natur folgte und und die Entwicklung der Gartenstile beeinflusste. Dieser Blick in die Geschichte lehrt das „Heute“ zu verstehen und das „Morgen“ vorauszusehen. Heute sind wir wieder an einem Wendepunkt angekommen. Menschen und Gärten gehen eine neue Beziehung ein. Die Pandemie hat die Beziehung Mensch und Natur neu belebt. Neue wissenschaftliche Ergebnisse belegen, welche positive Wirkung der Garten und das Gärtnern auf den Menschen und die Umwelt haben. Inzwischen beschäftigt sich etwa eine eigene junge Wissenschaft, die „Gartentherapie“, mit der positiven Wirkung des Gartens und belegt: Der Garten bringt uns in Balance, baut Stress ab und stärkt uns seelisch, körperlich und geistig. Das Werken mit den Händen wird ein zunehmend wichtiger Ausgleich zum digitalisierten Alltag. Der Garten bekommt als Oase der Gesundheit, der Erholung und der Geselligkeit eine neue lebenswichtige Wertestellung. Der Garten, ehemals definiert als umzäuntes Land, wird neu interpretiert und vielfältiger belebt. Er entfesselt sich von seinen räumlichen Bestimmungen und wird zu einer agilen, multifunktionalen Lebensoase. Ob Innen oder Außen, ob auf Balkon, Terrasse, in der Stadt oder auf dem Land, ob als Zimmergarten, Dachgarten, Schrebergarten, Farmland oder Yogagarten, Spielgarten oder Schlemmerparadies. Es wird in der Zukunft so viele Gärten geben wie Fische im Roten Meer – also zahllose Oasen, wo wir arbeiten, spielen, genießen, farmen, schlemmen oder einfach nix tun.

 

Wertschätzung der Natur
Global erfährt die Natur in diesen Zeiten wachsende Wertschätzung und es entwickelt sich ein neues Verständnis für die Natur – als Reaktion auf die spürbaren Veränderungen, wie der Klimawandel, das Artensterben, die Luftverschmutzung, die weltweite Vermüllung, der Wassermangel und vieles mehr sie mit sich bringen. Dass wir Menschen Teil des Naturkreislaufes sind, wird jedoch noch allzu gern vergessen. Die Naturliebe ist da – das Naturverständnis oft noch nicht. Als grüne Branche tragen wir eine besondere Verantwortung, das Bewusstsein in der Gesellschaft für mehr Grün und Vielfalt sowie den sorgsamen Umgang mit den Ressourcen zu stärken.

 

Themen nicht verschlafen
Das umfassende Thema der Nachhaltigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es bedeutet weit mehr als Bio-Ware und Bienenpflanzen.
Unser Auftrag ist es, diese gesellschaftliche Bewegung vorbildlich in ein Gesamtkonzept zu fassen und in konkrete Themen, Sortimente und Präsentationen, umzusetzen. Mehrwert ist dabei das Zauberwort.
Offen, klar und wahr aufklären, informieren und animieren, ohne zu missionieren – nur das bringt uns zum Ziel.
Für 2022 sind die folgenden Gartenthemen für uns als Grüne Branche von höchstem Interesse. Die Menschen – unsere Gartenkunden – wünschen hierfür Lösungen.

1. Klimawandel

  • Bäume als Klimahelden
  • Wetterfeste Pflanzensortimente
  • Bodenreich (Gründünger, Humus, Kompost)
  • Wasser marsch. Jeder Tropfen zählt; Mehr Wasser sammeln und sparen
  • Grüne Wände, grüne Dächer, grüne Vielfalt zur Energie Einsparung
  • Zero Waste – bitte kein Abfall. Vermeiden, verringern, Wiederverwenden von Gefäßen, Erden, Dünger
  • Das Beste aus der Heimat – regionale Bestseller

2. Biodiversität

  • Blumenwiese versus Rasen
  • Botanische Schätze aus aller Welt; Vielfalt schützen und bewahren
  • Wildpflanzen Obst, Stauden, Sträucher, Blumen
  • Wilde Naturhecke
  • Naturapotheke – Pflanzen heilen Pflanzen. Beispiel: Melisse unterm Pfirsichbaum wehrt die Kräuselkrankheit ab

3. Home Farming

  • Hochbeet mit Obst, Gemüse und Kräutern rund ums Jahr; Hühner halten
  • Global Exotics sind auf dem Vormarsch;
  • Kohl ja und gerne Exoten wie Artischocken, Wasabi und Co
  • Farming goes vegan – mit Pilzen, Linsen, Bohnen und Erbsen; wir pflanzen proteinreiche Gemüse und verarbeiten sie gleich in unserer Gartenküche

4. Community Garden

  • Feste feiern rund ums Jahr
  • Gärtner dich fit – slow gardening mit Freunden.
  • Genießer Garten für Freunde, Familien und Tiere
  • Treffpunkt Garten für Sport, Spiel, Arbeiten (Garden Office)

 

Neue Kunden sind da
Ob Gärtnerei, Gartencenter oder Baumschule – wir alle sind eingeladen, unser Profil zu schärfen und unsere Flächen, Sortimente und Präsentationen neu auszurichten. Die Lebenswelten, die Lebenswerte und das Einkaufsverhalten verändern sich in dieser Zeit schneller als wir es im Handel vielfach tun. Eine neue Generation an Gartenkunden dominiert. Es sind die „Ethischen Ästheten“, die inzwischen mit über 40 Prozent den Kern der kreativen, modernen Mittelschicht ausmachen.Ihr Einkaufsverhalten wird von zwei scheinbar unterschiedlichen Werten beherrscht: vom Bedürfnis nach Spaß und Genuss sowie gleichzeitig von der sozialen Verantwortung, von ihrem Wunsch nach Nachhaltigkeit.
Der Klimawandel und die Pandemie haben diesen Trend noch verstärkt. Diese veränderte Einstellung der Konsumenten sind für den grünen Handel wie auch für die Gartenindustrie definitiv ein Weckruf.
Die Funktionalität der Gartenprodukte reicht zukünftig nicht mehr aus. Der Mehrwert im Cluster der Nachhaltigkeit wird das Zünglein an der Waage für Authentizität und die Größe der Fangemeinde.

 

Handel ist Erlebnis …
… nicht Ergebnis. Die Baumschule wird zur Theaterbühne, wo die wechselnden Themen und Sortimente anregen, informieren und animieren.
The Chase is better than the Caught – sprich die Jagd besser als der Fang – gibt jedem Händler die Richtung für die Darbietung in seinem Ladengeschäft.
Das Einkaufen erzeugt Glücksgefühle, nicht unbedingt der Besitz an sich. Das gilt es zu schüren. „Das Produkt muss Dich rufen“, sagen die Japaner.
Wie? – Diese Frage sollten wir uns tagtäglich stellen, wenn wir durch unsere Baumschule, Gärtnerei oder durch unser Gartencenter laufen, um die Begehrlichkeit unseres grünen Fachgeschäfts auf den Prüfstand zu stellen. Eines gilt in jedem Fall : Langeweile vermeiden.
Doch angesichts herkömmlicher Pflanzenpräsentationen schwant Langeweile, wenn wir das Profil und Konsumerwartung der jungen Generationen anschauen. Sie gähnen, wenn wir ihnen mit verwirrend vielen 0815 Pflanzensortimenten auf Alutischen ein Erlebnis verkaufen wollen. Sie möchten es einfach haben. Ein durchgängiges GPS ist Ehrensache, denn Suchen und Irren in der Baumschule kostet Zeit und stresst. Sie möchten Warenpakete und eine coole Gebrauchsanleitung – gerne live oder digital.